Warnhinweise
Warnhinweise zur ärztlichen Verschreibung psychotroper Medikamente an Drogenabhängige
- Das Problem
- Voraussetzungen
- Medikamentengestützte Behandlung Drogenabhängiger
- Polytoxicomaner Drogenkonsum
Das Problem
Die Ärztekammer Berlin sieht sich in den letzten Jahren zunehmend mit einem Problem konfrontiert, das unseren Berufsstand wiederholt ins Kreuzfeuer der ?öffentlichen Kritik gebracht hat: Eine kleine Zahl von Ärzten verschreibt in unverantwortlicher Weise große Mengen psychotroper Medikamente (Benzodiazepine, Tranquilizer, Antidepressiva, Neuroleptika) sowie verschiedene Kombinationen dieser Medikamente an Drogenabhängige.
Durch ihr Verschreibungsverhalten unterstützen diese Ärzte, dass es vermehrt zu polytoxicomaner Verhalten von Drogenabhängigen kommt. Zugleich steigt in Berlin die Zahl von Drogentoten, bei denen psychotroper Medikamente nachweisbar sind.
Durch Informationen der Polizei wissen wir, dass sich der Schwarzmarkt mit psychotropen Medikamenten bedenklich schnell ausweitet und dass der Erlös aus dem Verkauf dieser Medikamente zum Teil wieder dazu verwendet wird, andere Drogen zu erwerben.
Sicherlich handelt ein Teil dieser Ärzte in gutem Glauben und aus der Überlegung heraus, seinen Patienten die geforderten Medikamente nicht vorenthalten zu dürfen, um sie nicht dem drohenden Entzug auszusetzen. Diesen Ärzten bietet die Ärztekammer jederzeit fachkompetente Beratung durch erfahrene Mitarbeiter/innen der "Clearingstelle für Substitution" an.
Bei einem anderen Teil dieser Ärzte drängt sich aber aufgrund der Menge der Rezepte, der schnellen Frequenz, in der diese abgegeben werden und der hohen Zahl von Patienten, die auf diese Weise mit psychotropen Medikamenten versorgt werden, der Verdacht auf, dass die Kollegen die Unterstützung des Suchtverhaltens ihrer Patienten sowie auch einen Weiterverkauf der Medikamente auf dem Schwarzmarkt billigend in Kauf nehmen.
Trotz der in Berlin vorhandenen Möglichkeit, sich jederzeit von der Clearingstelle für Substitution der Ärztekammer Berlin bezüglich der Behandlung Drogenabhängiger beraten zu lassen, trotz der Leitlinien der Bundesärztekammer mit einer eindeutig ablehnenden Stellungnahme zur Verschreibung von psychotropen Medikamenten an Drogenabhängige, trotz der Empfehlungen der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft zum Umgang mit Dihydrocodein und trotz vielfältiger, immer wieder angebotener Fortbildungsmaßnahmen, scheinen manche Kollegen nicht bereit zu sein, sich mit den Bedingungen einer Behandlung von Drogenabhängigen nach den Regeln der Ärztlichen Kunst vertraut zu machen und ihr Rezeptierverhalten entsprechend zu ändern.
Ein solches Verschreibungsverhalten verstößt gegen das Gebot der gewissenhaften Berufsausübung (? 1 Abs. 3 der Berufsordnung) und gegebenenfalls auch gegen den §31 Abs. 3 der Berufsordnung, der besagt, dass der Arzt der missbräuchlichen Anwendung seiner Verschreibung keinen Vorschub leisten darf, sowie gegen §10 der Berufsordnung, der beinhaltet: "Der Arzt ist verpflichtet, die von der Ärztekammer eingeführten Malnahmen zur Sicherung der Qualität der ärztlichen Tätigkeit durchzuführen."
Aus Sorge um die Patienten und aus der Verantwortung der Ärzteschaft für die bestmögliche Qualität der Therapie sowie zur Verhinderung neuer Erkrankungen hat die Ärztekammer Berlin die "Maßnahmen der Ärztekammer Berlin zur Sicherung der Qualität Ärztlicher Tätigkeit" beschlossen.
Beim Vorliegen eines Verdachts auf einen Verstoß? gegen die Berufsordnung wird die Ärztekammer Berlin in Zukunft berufsgerichtliche Verfahren einleiten.
Voraussetzungen
Die Besonderheit in der Behandlung Suchtkranker liegt darin, dass durch medikamentöse Maßnahmen eine Suchtverlängerung oder Suchtverlagerung - und damit eine Verschlimmerung statt einer Linderung des Leidens - erfolgen kann.
Die Behandlung von Suchterkrankungen erfordert deshalb vom Arzt spezifisches Wissen über Ätiologie, Pathogenese, Verlauf, Komplikationen und differentielle Therapieformen je nach Ausformung der Suchterkrankung.
Die Behandlung erfordert umfassende und langfristige Konzepte. Dabei stehen - auch bei medikamentengestützten Behandlungen - zuwendungsintensive beziehungsweise psychiatrisch-psychotherapeutische Verfahren im Vordergrund. Die Zusammenarbeit mit qualifizierten Fachkräften des Drogenhilfesystems in der Rehabilitation ist unverzichtbar.
Medikamentengestützte Behandlung Drogenabhängiger
Für Drogenabhängige, die einen Ausstieg aus dem drogenbestimmten Leben suchen, kommt entweder eine Entgiftung mit anschließender stationärer oder ambulanter Entwöhnungs-Behandlung in Frage oder eine lege artig durchgeführte Substitutions-Therapie als ambulante Maßnahme. Welche Behandlungsform im Einzelfall angezeigt erscheint, bedarf sorgfältiger Indikationsstellung.
Die Substitutions-Therapie Opiatabhängiger erfolgt nach den gesetzlichen Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und den "Leitlinien der Ärztekammer Berlin zur Substitutionstherapie Opiatabhängiger". Eine eventuelle Krankenkassen-Finanzierung wird durch die "NUB-Richtlinien" geregelt.
In der Regel ist Methadon das Medikament der Wahl für eine medikamenten-gestützte Behandlung, da dieses Medikament durch seine pharmakologischen Eigenschaften am besten verträglich ist. Nur in Ausnahme Fällen kann auch der Einsatz von Codein sinnvoll sein, auch hierfür hat die Bundes Ärztekammer Empfehlungen veröffentlicht. Andere Medikamente sind derzeit zur Substitution nicht zugelassen.
Vorrangiges Ziel einer aufeinander aufbauenden Folge von Behandlungszielen bei der Methadon-Substitution ist das Aufgeben des polytoxicomaner Drogenkonsums (Mischkonsum) und riskanter Applikationsformen (i.v.-Injektionen). Diese Ziele werden durch zusätzliche Verschreibungen anderer psychotroper Medikamente behindert!
Polytoxicomaner Drogenkonsum
Unter Drogenabhängigkeit wird häufig nur die Abhängigkeit von illegalen Drogen, vorwiegend Heroin, verstanden. Es ist viel zu wenig bekannt, dass gerade der bei Drogenabhängigen häufige Beikonsum von legalen Drogen wie Alkohol und Benzodiazepinen zur schwersten Ausprägung der Suchterkrankung mit besonders gefürchteten Folgeerscheinungen (Polytoxicomanie) führt.
Alle psychotrop wirksamen Medikamente (Barbiturate, Benzodiazepine, Antidepressiva, Neuroleptika) können zu Missbrauch und Abhängigkeit führen! Ihre Verschreibung an Drogenabhängige unter ambulanten Bedingungen entspricht nicht ärztlichem Handeln im Sinne einer Linderung des Leidens oder der Verhütung einer Verschlimmerung, sie ist obsolet!
Eine besonders verhängnisvolle Rolle spielt das Flunitrazepam (Rohypnol-), das von Ärzten - häufig in subjektiv guter Absicht - verschrieben wird.
Flunitrazepam ist wegen seiner spezifischen pharmakologischen Eigenschaften besonders ungeeignet für den Einsatz bei Drogenabhängigen. Schon von der Hersteller-Firma wird im Beipackzettel Suchtkrankheit als Kontraindikation angegeben!
Die Verschreibung von psychotropen Medikamenten an Drogenabhängige, die nicht in eine geregelte Substitutions-Therapie eingebunden sind, führt dazu, dass ein Teil der verschriebenen Medikamente auf der Drogenszene an Dritte verkauft wird, um damit Heroin, Kokain oder auch den Lebensunterhalt des Drogenabhängigen zu finanzieren. In solchen Fällen wird einer missbräuchlichen Anwendung der Verschreibung Vorschub geleistet. Besonders beunruhigen muss dabei, dass auf Umwegen Dritte von der ärztlichen Verschreibung erreicht werden, die der Arzt nie gesehen hat, für deren Abhängigkeit er sich aber indirekt mit verantwortlich macht (besonders Jugendliche, Probierer, Neueinsteiger).